Heideggers Kritik des Nationalismus entspricht vielfach einer identitären Kritik des Begriffs. Während letztere aber eher pragmatisch bleibt (moderner Nationalismus vergisst die regionale und übernationale Ebene und führt zu Vereinheitlichung nach Innen und Bruderkrieg nach Außen), geht der Philosoph in die Tiefe.
In dieser Notiz werde ich selbstverständlich nicht Heideggers lebenslange Auseinandersetzung mit dem Volksbegriff und sein politisches Engagement analysieren. Stattdessen findet sich hier eine interessante (und kommentierte) Zitatesammlung. Eine gewisse Kenntnis der Unterscheidung von Volk und Nation und die Verstrickung des Nationalismus in die Aufklärung und den deutschen Idealismus, setze ich hier als Basis ebenfalls voraus (siehe dazu den oben verlinkten Text.)
Heidegger setzt ab einem gewissen Punkt seines Schaffens die Nation mit dem neuzeitlichen Subjekt und damit mit eine bestimmte Form des Nationalismus mit dem Nihilismus gleich:
“Der Mensch als Vernunftwesen der Aufklärungszeit ist nicht weniger Subjekt als der Mensch, der sich als Nation begreift, als Volk will, als Rasse sich züchtet und schließlich zum Herrn des Erdkreises sich ermächtigt. [...] Im planetarischen Imperialismus des technisch organisierten Menschen erreicht der Subjektivismus des Menschen seine höchste Spitze, von der er sich in die Ebene der organisierten Gleichförmigkeit niederlassen und dort sich einrichten wird. Diese Gleichförmigkeit wird das sicherste Instrument der vollständigen, nämlich technischen Herrschaft über die Erde.” (MH 1938, 102f.)
Die Nation wird damit nur eine weitere Ausdrucksform des Willens zu Macht. Ursprünglich als Gegenmodell zur sowjetischen Weltrepublik und dem liberalen Weltmarkt, sieht Heidegger in ihr nun keine Antwort auf, sondern einen Variante der Machenschaft.
Heidegger erkennt dabei sehr gut, dass die Nation als Zweck nur eine temporäre Scheinlösung ist. Zwar kann der Lebenszweck Volk und Nation zu dienen, einem modernen, vom Nihilismus geplagten Individuum Lebenssinn verleihen. Doch diese mentale Operation hängt am Lebenssinn der Nation. Was ist ihr Sinn, also die Richtung die sie einschlägt, der Weg den sie geht? Was ist ihre Rolle in der Welt und ihre Aufgabe in der Geschichte? Die Antwort: “Machtsteigerung und Selbsterhalt” ist wie Heidegger schreibt ein geistiges Eingeständnis:
“Man will sich nicht eingestehen, dass man keine Ziele hat. Die „Mittel für die Zielaufrichtung und Verfolgung“, werden „selbst zum Ziel hinaufgesteigert: das Volk z.B.“ (HGA 65, 139)
Ein Nationalismus der sich im biologischen Selbsterhalt und der Machtsteigerung zum besseren Selbsterhalt erschöpft, beseitigt damit auch die Transzendenz. (Faschismus war nach Nolte der “Widerstand gegen die praktische Transzen-denz und Kampf gegen die theoretische Transzendenz in einem”) Ein Antuniversalismus, der im “Anti” verhaftet bleibt, sich auf eigenen Gesichtskreis beschränkt, und jede weitergehende Sinnfrage mit zynischem Dezisionismus erledigt, stumpft ab. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und bloßes Vegetieren, also dumpfes, ausgreifendes, unschuldig-werdendes wachsen in den Raum, kann niemals Lebenssinn für den Einzelnen, noch für ein ganzes Volk sein. (Aus meiner Sicht hat der Lebenscharakter vieler Lebensphilosphie stets etwas dumpf-pflanzenhaftes.)
Es handelt sich hier gerade nicht um das “ewige Naturgesetz“, sondern um einen, zutiefst moderner Mythos.
„Erhaltung des Volkes ist nie ein mögliches Ziel, sondern nur Bedingung einer Zielsetzung. Wird die Bedingung aber zum Unbedingten, so kommt das Nichtwollen des Ziels, das Abschneiden jeder ausgreifenden Besinnung zur Macht.” (HGA 65, 99)
Die nietzscheanische Metaerzählung der Lebenssteigerung als Lebenssinn ist zutiefst aufklärerisch. Alle Mythen, die einst dem Leben Sinn stifteten werden in ihr zuletzt entzaubert, als Wille zur Macht “und nichts außerdem”. Ich will hier nicht tiefer auf die Frage eingehen, sondern ergänze ein weiteres Heideggerwort, indem er noch deutlicher wird:
„Weil man die Seinsfrage noch nicht begreift und damit auch nicht das Da-Sein, weil man dieses doch immer als „Subjekt“ nimmt, gelangt man zu den komischen Forderungen, das Einzelsubjekt (in Sein und Zeit) müßte jetzt durch das Volkssubjekt ersetzt werden. Die armen Tröpfe!“ (HGA 66, S. 144)
Hier wird die Kritik überdeutlich. Das neuzeitliche Subjekt befindet sich in einer Sinnkrise. Wenn es nicht den Ausweg der liberalen oder marxistischen Utopie und Realtranszendenz (Sieferle) will, sondern an Tradition und einem “konkreten Ordnungsdenken” (Schmitt) festhalten will, bietet sich die Flucht in die Nation an. Der Staat ersetzt die Kirche und das Volk den Gott. Das Einzelsubjekt geht im Megasubjekt des Volkes auf. Dieses befindet sich auf der inter-nationalen Ebene im Daseinskampf gegen die anderen Volksindividuen, wie einst der Einzelne in der modernen Gesellschaft.
Damit wird das Menschen- Welt und Wahrheitsbild der Moderne aber nicht überwunden, sondern nur auf eine höhere Ebene bugsiert. Die große Sinnfrage nach dem “Tod Gottes” wird damit nicht einmal versuchterweise beantwortet. Ein geistiger Bankrott wird “umgeschuldet” und ein neuer Kredit wird aufgenommen. Eine Weile wirkte dieser geistig-energetische Schub, der wie eine Sinninjektion wirkte. Ernst Jünger hielt es in einem bekannten Zitat fest.
„Wir können heute nicht mehr die Märtyrer verstehen die sich in die Arena warfen, ekstatisch schon über alles Menschliche, über jede Anwandlung von Schmerz und Furcht hinaus. Der Glaube besitzt heute nicht mehr lebendige Kraft. Wenn man dereinst auch nicht mehr verstehen wird, wie ein Mann für sein Land das Leben geben konnte, und diese Zeit wird kommen, dann ist es vorbei, dann ist die Idee des Vaterlandes tot und dann wird man uns vielleicht beneiden, wie wir jene Heiligen beneiden, um ihre innerliche und unwiderstehliche Kraft.”
Das funktionale Wahrheitsverständnis, die propagandistische Auffassung des Glaubens, die Mythosbastelei, bis zu Politreligionen, nationaler Biologisten geißelt Jünger ebenfalls (jedoch in einer Sprache, die Heidegger zurecht als unheilbar metaphysisch kritisiert)
”Denn alle diese großen und feierlichen Ideen blühen aus einem Bewußtsein heraus, das im Blute liegt und das nicht zu erzwingen ist. Im kalten Licht des bloßen Verstandes wird alles der Nutzbarkeit unterworfen, verächtlich und fahl. Uns war es noch vergönnt in den unsichtbaren Strahlen großer Gefühle zu leben. Das bleibt uns unschätzbarer Gewinn. Aber nun wird es aus sein, wenn auch dies noch dahin ist.“
Der Adoleszenzmachivaellismus und Teenie-Amoralismus, von Nietzsche über Camus bis zu Vikernes und BAP glaubt, diese Strahlen wieder heraufbeschwören zu können. Aber die ethnokulturelle, typologoischhe, physiognomische und mythische Substanz, von der auch der NS als “deutscher Vorstoß in die Moderne” (Dahrendorf) zehrte gibt das nicht mehr her. (Rauschning ging hier sogar noch weiter und schrieb: “Aber auch die Kräfte, die der Nationalsozialismus anerkennt und in seinem deutschen Artbild zur ausschließlichen Geltung bringt, verzehrt er gerade durch die Überbetonung.”) Kurz gesagt: “Fiume kommt nicht wieder”.
Doch diese Kritik eines nietzscheanischen Nationalismus durch Heidegger, die im Unterschied zur Kritik eines hegelianischen Liberalnationalismus, erst in der rechten Theoriebildung begriffen werden muss, ist keine Absage an das Volk. Im Gegenteil. Durch die Abtragung metaphysischer Schlacke und ideologischer Überformung, Einspannung und Versklavung, wird das Volk als Mitsein. Heidegger dazu:
„Wenn aber das schicksalhafte Dasein als In-der- Welt-sein wesenhaft im Mitsein mit Anderen existiert, ist sein Geschehen ein Mitgeschehen und bestimmt als Geschick. Damit bezeichnen wir das Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes.“
Heidegger vermittelt uns, als der eigentliche konservative Revolutionär eine philosophischen Frage, die, nicht aufklärerisch und brutal, sondern aus der Wurzel der abendländischen Seinsgeschichte, und aus einem Denken, das durch die metaphysische Ideengeschichte gegangen ist. Er tut das jedoch, als Vorläufer der großen “Kontingenzerkenntnis” der Moderne (linguistic turn, narrative turn, etc.) am Boden von Volk und Heimat im echter Akzeptanz der Endlichkeit und Zeitlichkeit:
“Was dagegen die Philosophie ihrem Wesen nach sein kann und sein muß, das ist: eine denkerische Eröffnung der Bahnen und Sichtweiten des maß- und rangsetzenden Wissens, in dem und aus dem ein Volk sein Dasein in der geschichtlich-geistigen Welt begreift und zum Vollzug bringt, jenes Wissen, das alles Fragen und Schätzen befeuert und bedroht und nötigt.”
Genau aus dieser Perspektive ermöglicht sind, aus einer tiefen und ersten Frage nach Wahrheit und Suche nach Sinn, die Chance sowohl den Nihilismus als auch den Ethnomasochismus nicht zu über-, sondern zu verwinden. Es eröffnet sich mehr als bloß die Chance auf eine weitere politische Religion, einen neuen Machtrausch unter der Führung eines Willensathleten. Es eröffnet sich die Chance auf die Erkenntnis einer “Schuld” an die Welt, im positiven Sinne. Heidegger schreibt:
”Der geistige Verfall der Erde ist so weit fortgeschritten, daß die Völker die letzte geistige Kraft zu verlieren drohen, die es ermöglicht, den [in bezug auf das Schicksal des »Seins« gemeinten] Verfall auch nur zu sehen und als solchen abzuschätzen. Diese einfache Feststellung hat nichts mit Kulturpessimismus zu tun, freilich auch nichts mit einem Optimismus; denn die Verdüsterung der Welt, die Flucht der Götter, die Zerstörung der Erde, die Vermassung des Menschen, der hassende Verdacht gegen alles Schöpferische und Freie hat auf der ganzen Erde bereits ein Ausmaß erreicht, daß so kindische Kategorien wie Pessimismus und Optimismus längst lächerlich geworden sind. Wir liegen in der Zange. Unser Volk erfährt als in der Mitte stehend den schärfsten Zangendruck, das nachbarreichste Volk und so das gefährdetste Volk und in all dem das metaphysische Volk. Aber aus dieser Bestimmung, derer wir gewiß sind, wird sich dieses Volk nur dann ein Schicksal erwirken, wenn es in sich selbst erst einen Widerhall, eine Möglichkeit des Widerhalls für diese Bestimmung schafft und seine Überlieferung schöpferisch begreift. All das schließt in sich, daß dieses Volk als geschichtliches sich selbst und damit die Geschichte des Abendlandes aus der Mitte ihres künftigen Geschehens hinausstellt in den ursprünglichen Bereich der Mächte des Seins. Gerade wenn die große Entscheidung über Europa nicht auf dem Wege der Vernichtung fallen soll, dann kann sie nur fallen durch die Entfaltung neuer geschichtlich geistiger Kräfte aus der Mitte.”
Das ist nur eine Andeutung. Vieles wäre. Zu sagen davon.”, wie Hölderlin schreibt.
Bevor ich näher auf diese Anti-Sinnstiftung die den Tatkult hinter sich lässt und sich einer Sinnerfahrung öffnet eingehe, wird es nötig sein den neurechten Nietzscheanismus und Nominalismus Punkt für Punkt zu begreifen, zu fixieren, zu verwinden und hinter uns zu lassen. Wenn Interesse besteht, schreibe ich zeitnah weiter.
Thank you so much! This essay speaks to my deepest concerns. I hope that you write more on this topic. The quotation from the Beitraege is very interesting: "Erhaltung des Volkes ist nie ein mögliches Ziel, sondern nur Bedingung..." In the 1936 lecture "Europa u. die deutsche Philosophie," Heidegger makes a similiar point, speaking of how the Rettung of Europe requires the preservation of its peoples. "Die Moeglichkeit der Rettung aber velangt ein Doppeltes: 1. Bewarhung der europaeischen Voelker vor dem Asiatischen. 2. Die Ueberwindung ihrer eigenen Entwurzelung u. Aufsplitterung." My question is: even if nationalist movements are indeed instruments of Machenschaft, do they not help "preserve" Voelker through the process of the Vollendung of modernity? Greg Johnson has observed that one consequence of the rule of technological Gestell is that the members of all the Western peoples become "Bestand" -- and thus "fungible." For the globalists, they can and should be "replaced" by people from foreign lands, so that everyone, everywhere undergoes Entwurzelung. But if this happens, could there ever be another Anfang? How could a Volk be preserved without nationalism?
Also ich finde das gut und interessant und würde mich über eine Fortsetzung freuen. Wobei die teilweise "wichtigtuerische Sprache" von Heidegger mich prinzipiell nervt. Man muss es oft zwei oder dreimal lesen, um einen eigentlich nicht überkomplizierten Sachverhalt freizulegen, der auch mit einfacheren Worten erklärbar wäre. Vielleicht nicht immer ganz so knapp. Aber weil man es mehrfach lesen muss, liefert die schwer verständliche Kürze leider keinerlei Gewinn. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.
Mein Fazit war: Ich konnte zwar Argumente für "Volk" aber keine Argumente für "Nation" oder "Staat" finden.