Soeben habe ich mein Ausarbeitung von Reinhard Mehrings Aufsatzsammlung “Martin Heidegger und die Konservative Revolution” beendet. Ein lesenswertes Buch, weniger wegen der präsentierten Thesen und originären Ideen, als aufgrund der vielen spannenden Zitate, gelungenen Zusammenfassungen und origineller Querverweise.
Vielleicht gehe ich später noch auf einige Punkte ein. Hier will ich kurz Mehrings Definition des Konservativismus und seine Stellungnahme für Thomas Mann zitieren.
”Konservatismus stellt anthropologische Möglichkeiten in die historisch-politischen Rahmenbedingungen zurück; er fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit humaner Existenz, entwickelt komplexe Bedingungsanalysen und lässt sich knapp als Bedingungsbewusstsein und Politik der Ressourcenschonung definieren.Man kann auch von einem ausgeprägten Sinn für die Kontingenz, Fragilität und Endlichkeit des politischen Lebens sprechen. Ein humanistischer Konservatismus fragt nach den politischen Bedingungen der Möglichkeit eines gelingenden Lebens. Hegel sprach hier von einem Primat der »Sittlichkeit« und »lebendigen Verhältnisse« vor der moralischen und juridischen Reflexion. Ein guter Staat ermöglicht nicht nur Demokratie (Identifikation und Partizipation), sondern auch liberale (grundrechtlich gesicherte) Freiheit vom Staat. Thomas Mann formulierte dies deutlich, indem er Freiheit von der Politik wünschte.
Und er erfuhr an sich, dass gerade das »unpolitische« Leben, die relative Freiheit vom Staat, eine hochstufige politische Leistung ist, die Engagement voraussetzt. Seine Betrachtungen eines Unpolitischen formulierten diesen liberalen Konservatismus, den Willen zur Freiheit vom Staat, in weitläufigen polemischen Auseinandersetzungen mit dem jakobinisch politisierten Zeitgeist, der die Liberalität nicht als letzte Sinnbestimmung und Aufgabe eines demokratischen Staatswesens begreift. Bei Hegel heißt es: »Unter Patriotismus wird häufig nur die Aufgelegtheit zu außerordentlichen Aufopferungen und Handlungen verstanden. Wesentlich aber ist die Gesinnung, welche in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhältnisse das Gemeinwesen für die substantielle Grundlage und Zweck zu wissen gewohnt ist.« (VII, 413) Politikdidaktiker unterscheiden hier mitunter den interessegeleiteten rationalen »Interventionsbürger«, der okkasionell agiert, vom dauererregten und engagierten Aktivbürger. (S.229)
Konservativismus wird in dieser liberalcuckservativen Sicht zu einem bloßen und blassen “Bedinungsbewusstsein” für die Möglichkeiten der Umsetzung liberaler Ziele. Wie die Philosophie als Hilfswissenschaft für die “hard sience” wird der Konservativismus zum HiWi für den Liberalismus degradiert. Der “Reformkonservativismus” nach Ottmann ist, in Mehrings Darstellung, ein bloßes Korrektiv für die 1. Politische Theorie (nach Dugin).
Mehring verabsäumt bei all seiner Betonung der historischen Kontingenz den “Humanismus”, sein Tarnbegriff für den Liberalismus entsprechend abzuklopfen und zu hinterfragen. In ihm sträubt sich erneut die Aufklärung gegen die Aufklärung über ihre eigene Genese und und Entstehungsbedinungen.
Mehr als ein paar blutleere “antiwoke” Gesten sind von diesem Konservativismus, den Mehring seitenweise von der Neuen Rechten abgrenzt nicht zu haben. Was ihm am Liberalkonservativismus der Nachkriegszeit am meisten gefällt? Er
“verabschiedet nämlich die nationalistische Perspektive und gibt auch der Staatsformenfrage und normativen Gesamtausrichtung eine neue Wendung. An die Stelle des »klassischen« Nationalstaats treten »Weltstaat« und »Menschheit« als konservative Optionen. »Globale« Auffassungen politischer Systemfragen wurden im Konservatismus jedoch oft auch antidemokratisch gewendet.”
Interessant ist, dass Mehring die EU als Ergebnis dieses post- und übernationalen Konservativismus bewertet.
”Aus dem technokratischen Konservatismus ging das »Elitenprojekt« der EU-Bürokratie hervor. Es setzte auf ein neo-liberales Finanzmanagement, das sich mit Weltbank und EZB institutionalisierte.”
Auch das ist dem “Konservativen” Mehrung bereits nicht liberal genug. Sein Haupt- und Angstgegner ist aber klar der Rechtspopulismus:
”Der Rechtspopulismus unserer Tage spielt »Nation« und »Demokratie« heute wieder gerne anti-universalistisch und globalisierungskritisch aus. Wie in der Weimarer Republik verbindet sich dieser »Populismus« häufig mit technokratischen und caesaristischen Auffassungen autoritärer Regimes. Die Koordinaten eines innovativen Konservatismus wandeln sich zwar, doch viele Strömungen des sog. »Rechtsintellektualismus« und der Lager- und Frontbildungen der »Rechtsparteien« verharren heute weiter in veralteten Fronten, Schablonen und Konzepten. Man muss den Konservatismus deshalb heute vor seinen epigonalen Adepten und willigen Vollstreckern verwahren.”
Antiuniversalismus, Globalisierungskritik und die Verteidigung der Nation, oder einer vergleichbaren konkreten Ordnung, sind die DNA des Konservativismus. Wie sogar Mehring selbst erkennt, ist ein entgrenzter “Konservativismus”, der den Weltstaat anvisiert, nichts anderes als eine planetare Hausordnung, die in der Technokratie eines Klaus Schwabs, oder Heinrich Hardensetts münden. Der Rechtspopulismus spielt nicht Nation und Demokratie gegeneinander aus, sondern verweist auf die Unvereinbarkeit des linksliberalen, dogmatischen Universalismus, mit dem Prinzip der Volkssouveränität und Legitimation durch Mehrheiten der Demokratie. (Dazu erscheint bald ein Beitrag von mir auf dem Sezessionsblog.)
Mehring verwirft in seinem Buch folgerichtig Heidegger, Schmitt, Jünger und die meisten anderen Vertreter der Konservativen Revolution. Thomas Mann wird als Gegenpol aufgebaut:
Wenn der Grundansatz der Konservativen Revolution, als politisch-philosophische Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten eines gelingenden Lebens, heute noch eine Zukunft hat, dann nur auf dem Niveau und in den Spuren Thomas Manns. Heideggers Konstruktion des Heideggerianers ist dagegen als Zukunftskonzept dogmatisch verfehlt. (S.230)
Das mag stimmen, wenn man als Zukunft nur das Ende der Geschichte und die Austilgung der Zeit an sich kennt. Das alte Hegelianische Syndrom und die Folgen der “Realtranszendenz” (Sieferle) der christlichen Heilsgeschichte wirken auch in Mehring nach. Unklar bleibt am Schluss warum er überhaupt das Label “konservativ” retten will und sich an Denkern wir Heidegger und Schmitt abarbeitet. Vermutlich sind die Gründe in der Sphäre der Ökonomie zu suchen. Als liberaler Experte, pseudokonservativer “KR-Erklärer” hat er wohl auch eine biographische und akademische Nische gefunden. Ihre Basis ist das bekannte Argument: “den Feind verstehen um ihn zu besiegen”. Nur in wenigen Momenten blitzt Verständnis für die “Kontingenzen” des 20. Jahrhunderts auf. Ein Vergleich mit Sieferles Studie der Konservativen Revolution jedoch zeigt: Die gesamte Heideggerforschung Mehrings findet daher bereits in einer feindlichen Perspektive des Verdachts und der apodiktischen Widerlegung statt. Die Folgen zeigen sich in diesem Buch.
Was bleibt sind die wissenschaftliche Tiefe und der geschliffene Stil. Jeder der an Heidegger und der KR interessiert ist muss daher, ob es ihm gefällt oder nicht, Mehring lesen.