Mich erreichte am 6.2.2024 folgende mail:
Lieber Herr Sellner,
mein Name ist M.A. , ich bin Redakteur des Nachrichtenmagazins profil. Aktuell arbeite ich an einem Artikel, der sich mit Ihnen beschäftigen wird. Ich richte daher folgende Fragen an Sie, und bitte um Antwort bis Donnerstag, 8. Februar, um 9 Uhr.
Philosophisch
Sie bezeichnen sich in „Gelassen in den Widerstand“ als „,deutschen‘ Österreicher“ (Sellner/Spatz 2015: 94), in Ihnen versammle sich „der schlafende Furor teutonicus, das ewig, unzivilisierbare, urdeutsche Fieber“ (ebd.: 90). Würden Sie sich als Deutschnationalen bezeichnen?
Sie schreiben in „Gelassen in den Widerstand“ auch vom „jüdischen Volk“ (ebd.; vgl. 93), Jüdinnen und Juden haben Ihnen zufolge eine „besondere seinsgeschichtliche Aufgabe“ (ebd.:94). Können, Ihrer nach Meinung nach, Jüdinnen und Juden Teil des „deutschen Volkes“ sein?
Politisch
Sie bezeichnen Manfred Haimbuchner in Ihrem Livestream vom 17. Juli 2023 als „komplett verrannt“, der höchstens als abschreckendes Beispiel für die AfD und andere Landesorganisationen der FPÖ dienen könnte. Sehen Sie das noch immer so?
Wie stark schätzen Sie Ihren Einfluss auf die FPÖ ein?
Sind Sie Aktiver oder Alter Herr einer Burschenschaft? (Ich kann das Band, das Sie in einem Ihrer Videos am vergangenen Freitag getragen haben, nicht zuordnen.)
Influencertum
Wie viele Wochenstunden investieren Sie durchschnittlich in den Betrieb Ihrer Social-Media-Kanäle (Aufnahmen, Schnitt, Rendering etc.)?
Wie viel Geld verdienen Sie, näherungsweise, durch die Monetarisierung Ihrer Inhalte auf den sozialen Medien?
Stellen Einnahmen durch Monetarisierung den Hauptteil Ihres Verdienstes dar, oder sind andere Posten (Vortragshonorare, Spenden, Bücherverkauf) wichtiger?
Liebe Grüße,
M.A.
Meine Antwort:
Sehr geehrter Hr. A,
Danke für ihre Anfragen. Hier meine Antwort:
Philosophisch
Sie bezeichnen sich in „Gelassen in den Widerstand“ als „,deutschen‘ Österreicher“ (Sellner/Spatz 2015: 94), in Ihnen versammle sich „der schlafende Furor teutonicus, das ewig, unzivilisierbare, urdeutsche Fieber“ (ebd.: 90). Würden Sie sich als Deutschnationalen bezeichnen?
Ich freue mich über das Interesse an meinem ersten Buch zu Heidegger, aber sie zitieren hier verkürzt und zusammenhanglos. Ich bezeichnete mich an der Stelle „cum grano salis“ als „deutschen Österreicher“, der aufgrund dieser „diplomatischen Sonderstellung“, gerade das sehr geradlinige tiefgehende deutsche Denken, aus einer anderen, oft gelösten Perspektive sehen kann. Gerade den angesprochenen „furor“ setze ich in Bezug zu einer phänomenologischen Kritik bestimmter Formen des Nationalismus, wenn ich schreibe: „Im Zuge der Beantwortung dieser drei Fragen, so hoffe ich, können wir uns die Begriffe Volk, Heimat und Wurzeln erneut erschließen und von den metaphysisch-subjektivistischen Verzerrungen, denen sie durch Nationalismus und Internationalismus ausgesetzt waren“.
Vor einer Antwort auf Ihre Frage müsste klargestellt werden, was man unter „deutschnational“ versteht. Ich betrachte den historischen Deutschnationalismus als wichtige und legitime, identitäre Strömung, gerade in der Zeit, in der Österreich ein Vielvölkerstaat war. In der heutigen Zeit angesichts, der großen Herausforderung und der Bedrohung aller westeuropäischen Völker, hatte der Begriff und das Adjektiv für mich keine aktuelle, tagespolitische Bedeutung. Versteht man darunter einen übersteigerten Nationalismus, oder gar einen Vorläufer zum NS sieht, so habe ich das in dem zitierte Buch klar kritisiert:
„In einer Entschlossenheit zur eigenen Herkunft müssen wir geschichtlich und zukünftig werden, um eine neue Bodenständigkeit zu finden, uns aus der universalistischen Verzerrung der »Weltenachse« wieder im Geviert einzufinden. Du sprichst die Notwendigkeit des Denkens an. Ich glaube, es geht darum, Volk neu und gleichzeitig alt zu denken. Wie Heidegger sagt: »Dieses Wort wird hier in einem wesentlichen Sinne gedacht, nicht patriotisch, nicht nationalistisch, sondern seinsgeschichtlich«. »Seinsgeschichte«, das große, geheimnisvolle Wort, das Heideggers spätes »Ereignisdenken« durchströmt.“ (…)
Heidegger schreibt, den bekannten Satz eines hegelianisch-idealistischen Nationalismus kritisierend: »Das ›Deutsche‹ ist nicht der Welt gesagt, damit sie am deutschen Wesen genese, sondern es ist den Deutschen gesagt, damit sie aus der geschickhaften Zugehörigkeit zu den Völkern mit diesen weltgeschichtlich werden. […] Die Heimat dieses geschichtlichen Wohnens ist die Nähe zum Sein.« (GA 9, S. 337f.)“
Sie schreiben in „Gelassen in den Widerstand“ auch vom „jüdischen Volk“ (ebd.; vgl. 93), Jüdinnen und Juden haben Ihnen zufolge eine „besondere seinsgeschichtliche Aufgabe“ (ebd.:94). Können, Ihrer nach Meinung nach, Jüdinnen und Juden Teil des „deutschen Volkes“ sein?
Auch hier ist das Zitat völlig verkürzt. Ich habe mich intensiv mit einem unterstellten „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ Heideggers auseinandergesetzt und das spiegelt sich in dem Buch wider. „Der Verhängniszusammenhang der abendländischen Ideengeschichte, die Entfaltung des Nihilismus und der Machenschaft aus jüdisch-christlicher Religion, griechischer Philosophie, römischem Recht, gallischer Macht, germanischem Geist, slawischem Fieber – das alles ist ein in sich verschlungener Narrativ, in dem sich kein »Schuldiger« und kein »Guter« feststellen lassen. Es ist, wenn wir Heidegger ernstnehmen, nicht zuletzt auch ein »Entzugsgeschehen« des Seins, das kein Einzelner und auch kein »Tätervolk«, weder Deutsche noch Juden, verursachen oder verhindern kann. In diesem Verhängniszusammenhang gibt es nach wie vor Schuld, Verdienst und Aufgaben. Aber niemals exklusiv, sondern, wie Heidegger sagt, »aus der geschickhaften Zugehörigkeit zu den Völkern«, mit denen wir »weltgeschichtlich werden« müssen. (GA 9, S. 337f.)“
Ich frage mich, warum sie „deutsches Volk“ unter Anführungszeichen setzen, sofern das kein Zitat war. Ja, auch Nichtdeutsche können sich assimilieren und Teil des Deutschen Volkes werden. Im zitierten Buch vertrete ich explizit eine ethnopluralistische Position, die jede Idee eines minderwertigen Volks (oder „Tätervolks“) verwirft:
„1. Auserwähltheitswahn und Nationalismus,
2. Personalisierung der Moderne und Seinsgeschichte in bestimmten Akteuren,
3. eine kämpferische »Erringung« des Ereignisses.
Diese drei problematischen Aspekte bilden meiner Ansicht nach die philosophische Essenz der nationalsozialistischen Irrlehre, wenn es denn überhaupt so etwas gibt. Sie unterscheiden sie vom »kühleren« Faschismus und machen ihre Tiefe und Schwere, die uns in ihren Verbrechen, ihrer Ästhetik, ihren Tätern, Helden, Hassern und Gläubigen begegnet, aus. Heideggers eigentliche Philosophie, die über jede Kulturalisierung und Personalisierung, über jeden Tatkult und jede Willensmetaphysik weit hinausgeht, steht im diametralen Widerspruch zu diesen Irrwegen. Sie mußte aber vielleicht durch sie hindurch... Wohin führte Heideggers Kehre? Wie »reifte« sein Denken von Kampf- und Aufbruchrhethorik zu der Auseinandersetzung als »zum Vorschein kommen lassen« aus? Wie hängt das mit dem ewigen Umkreisen und der Verweigerung einer »begrifflichen Fest-Stellung« zusammen? Ich glaube, daß Heideggers Denken hier eine Kehre vollzieht, die derjenigen der »neuen Linken«, der »negativen Dialektik« der Frankfurter Schule vergleichbar ist. Heideggers Schweigen und seine Betonung der Geschichte als »Geschick«, als Gabe des Seins, das sich im Ereignis er-gibt, sind eine klare Abkehr vom technokratischen Machbarkeitskult seiner Zeit. Die Aufgabe eines Volkes im Seinsgeschick, ist gerade nicht der subjektivistische rassisch-religiöse Auserwähltheitskult, der in den europäischen Nationalismen, von England, über Frankreich und Italien, bis zu Serbien, Polen, Deutschland, Russland lebte und lebt.“
Politisch
Sie bezeichnen Manfred Haimbuchner in Ihrem Livestream vom 17. Juli 2023 als „komplett verrannt“, der höchstens als abschreckendes Beispiel für die AfD und andere Landesorganisationen der FPÖ dienen könnte. Sehen Sie das noch immer so?Wie stark schätzen Sie Ihren Einfluss auf die FPÖ ein?
Als Nichtparteimitglied, nehme ich es mir heraus FPÖ-Politiker ebenso wie Politiker anderer Parteien zu kritisieren. Ebenso gibt es auch rechte Politiker die gegenüber mir und der IB nicht mit Kritik sparen. Haimbuchner sagte damals in der Krone, nachdem er einen Maßnahmen plan gegen Rechts mitverantwortet hatte: „„Die völlig unsachliche und schadenfreudige Reaktion von ein paar Irregeleiteten und sogenannten Identitären ist kein Problem für die FPÖ und auch nicht für mich, im Gegenteil. Dass diese Gruppen wenig Freude mit mir haben, ist für mich durchaus beruhigend.“ Er nannte uns irregeleitet, ich ihn verrannt. Diese Kritik war aber auf den konkreten Anlass bezogen. Seit damals ist mir nichts Vergleichbares aufgefallen.
Ich denke unser Einfluss auf die FPÖ ist nicht größer als der Einfluss von Fridays for Future auf die Grünen.
Sind Sie Aktiver oder Alter Herr einer Burschenschaft? (Ich kann das Band, das Sie in einem Ihrer Videos am vergangenen Freitag getragen haben, nicht zuordnen.)
Ja ich bin alter Herr einer Studentenverbindung. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Influencertum
Wie viele Wochenstunden investieren Sie durchschnittlich in den Betrieb Ihrer Social-Media-Kanäle (Aufnahmen, Schnitt, Rendering etc.)?
Pro Woche kommen dafür rund 30-40 Stunden dafür zusammen. Das ist aber nur ein Teil meiner Tätigkeiten, neben Organisationsaufgaben, Aktivismus, Grafik- und Schreibarbeiten und sonstigen Verwaltungstätigkeiten
Wie viel Geld verdienen Sie, näherungsweise, durch die Monetarisierung Ihrer Inhalte auf den sozialen Medien?
Das ist schwer zu sagen. Ich bin auf allen monetarisierbaren sozialen Medien gesperrt und vermeide „product placement“. Daher basiert mein Journalismus auf „crowd-funding“. Im Unterschied zu den Altmedien, die auf Zwangsgebühren und Politinseraten angewiesen sind, bin ich damit ein basisdemokratischer Journalist. Die Einnahmen variieren, und hängen stark von konkreten Spendenaufrufen, zB für Rechtsstreite ab. Zahlen nenne ich eventuell, wenn Sie und die Profilredaktion mir ebenfalls ihr all ihre Gehälter und Nebeneinkünfte (dazu Einladungen zu Reisen udgl von Politikern) offen legen.
Stellen Einnahmen durch Monetarisierung den Hauptteil Ihres Verdienstes dar, oder sind andere Posten (Vortragshonorare, Spenden, Bücherverkauf) wichtiger?
Wie gesagt, spielt Monetarisierung für mich keine große Rolle, da ich auf Plattformen die Werbung schalten, in der Regel gesperrt bin. Insgesamt stellen, vor allem seit meinem Fokus auf Theoriearbeit, Bücherverkauf, Artikelhonorare, Seminare, und sonstige selbständige Tätigkeiten mein Hauptumsatz dar.
Danke für Ihr Interesse,
Martin Sellner
Am 7.2. erfolgte diese Nachfrage:
Lieber Herr Sellner,
vielen Dank für Ihre Antworten! Ich werde gleich die entsprechenden Passagen, gleich noch einmal lesen, ich finde allerdings nicht, dass ich verzerrt und zusammenhangslos zitiere.
Ich hätte allerdings jetzt nun doch eine Nachfrage, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen. Ich verstehe Ihre Antwort auf meine zweite Frage so, dass es sich bei Jüdinnen und Juden um Nicht-Deutsche handelt, die nur nach einer Assimilationsleistung dem „deutschen Volk“ angehören können. Ist das richtig? Und wenn ja, was würde eine solche bedeuten?
Liebe Grüße,
M.A.
Meine Antwort:
Sehr geehrter Hr. A,
Ich finde das schon, aber da gehen die Ansichten wohl auseinander.
Ich führe es noch einmal detailliert aus um ihren (gezielten?) Missverständnisse vorzubeugen:
Menschen jüdischen Glaubens können selbstverständlich deutsche Staatsbürger werden, wie es zB auch arabische Muslime mit israelischer Staatsbürgerschaft gibt. Ob sich ein jemand auch als Teil des deutschen Volkes (das sie beharrliche unter Anführungszeichen setzen) betrachtet und mit dessen Geschichte und Kultur identifiziert, was ich unter Assimilation versteht, ist eine davon getrennte Frage. Dies betrifft nicht nur Menschen jüdischen Glaubens, sondern jeden Migranten. Ob sie unter deutschem Volk, die geschichtlich gewachsene Entität, oder bloß das Staatsvolk verstehen ist nicht ersichtlich. Daher behandle ich final noch einmal beides: ein Fremder, ob jüdischen Glaubens, oder nicht, kann deutscher Staatsbürger und Teil des Staatsvolks werden. Ebenso kann er sich auch assimilieren und Teil der "sozialen Großgruppe, die durch gemeinsame Sprache, Kultur, Religion oder Geschichte gekennzeichnet ist" werden, wie Otto Dann ein Volk definiert.